Notfälle am Auge: Der retinale Venenverschluss

Retinaler Venenastverschluss - ein Praxisfall

Der retinale Venenverschluss - ein Praxisfall


Retinale Venenverschlüsse stellen die häufigste primäre Durchblutungsstörung des Auges dar. Dabei ist der Zentralvenenverschluss (ZVV) die zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Netzhaut nach der diabetischen Retinopathie. Ein drohender Zentralvenenverschluss ist eine seltene, schlecht definierte Erkrankung, die sich zurückbilden oder zu einem vollständigen Venenverschluss entwickeln kann. Charakteristisches Leitsymptom ist das Verschwommen­ sehen, das beim Aufwachen am stärksten ist und später nachlässt. [1, 2, 5]

Anamnese

Heute berichtet er von seiner veränderten körperlichen Konstitution. Zu seiner lang bestehenden rheumatischen Erkrankung kommen seit einigen Monaten eine signifikante Steigerung des Blutdrucks mit Vorhofflimmern, eine Gewichtszunahme und Veränderungen der Cholesterinwerte hinzu. Auf diese Veränderungen führt er das leichte, morgendliche Schleiersehen auf dem rechten Auge zurück. Die Medikamentenanamnese zeigt folgende Aufstellung:

Allopurinol: erhöhte Harnsäurewerte
Candecor comp.: erweitert indirekt die Blutgefäße
Simavastatin ratio: Cholesterinsenker
Bisoprolol,ß-Blocker: Blutdrucksenker
Lixiana: Vorbeugung von Schlaganfall und Embolie bei Vorhofflimmern
Ezetrol: ergänzt die cholesterinsenkende Wirkung
Familienanamnese
• Bluthochdruck
Soziales Umfeld / Beruf
•  Rentner, Lkw-Fahrer
Letzter Augenarzttermin 2017: alterstypischer Normbefund
Symptome und Befunde Visuelles System
• Gleitsichtbrille
• keine Doppelbilder
• keine asthenopischen Beschwerden
• leichtes Nebligsehen mit dem rechten Auge
• veränderte Farbwahrnehmung: blau-gelb

Optometrische Messungen: 6/2018 –  Vorjahresbefund
Führungsauge: OS
Pupillenreaktionstest
•  beide Augen (OU):  4,5 mm bei Dunkelheit, 3,0 mm bei Helligkeit
•  kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) –  (Swinging-Flashlight-Test)
• veränderte Farbwahrnehmung:  blau-gelb → durch Ishihara bestätigt
Visus getragene Brille: 1/2011
•  Ferne  R: sph -1,25 cyl +1,50 A   72° Vcc 0,8+ , L: sph -0,75 cyl +0,75 A 114° Vcc 0,8
•  Nähe: Add. 2,25
Augenglasbestimmung:
•  Ferne  R: sph -1,50 cyl +1,25 A   79° Vcc 1,0 , L: sph -1,00 cyl +0,50 A 108° Vcc 1,00
•  Nähe: Add. 2,50 für circa 38 cm Vcc 0,9+
Binokularsehen: ohne pathologische Befunde
Kontrastempfindlichkeit
• OD/OS: entsprechend der Altersnorm
Vorderkammertiefe (mm): OD: 2,77 – OS: 2,87
Augeninnendruck (IOP) 9.30 Uhr – NCT, •  OD: 13,0 mm/Hg – 15,8 mm/Hg, •  OS:  11,0 mm/Hg – 13,4 mm/Hg  (korrigiert nach Dresdner Tabelle)

Augenhintergrund (Abb. 1) rechte zentrale Netzhaut

Bei der Fundusfotografie konnten ausschließlich alterstypische  Veränderungen festgestellt werden, die sich innerhalb der Normvarianz befanden.

• Glaskörper: normal OU
• Papille: normal OU, Cup to Disc Ratio: 0,2 OU
• Makula: normal OU
•  Gefäße: Arterien-Venen-Verhältnis: 0,5  
• Peripherie: normal OU

Optometrische Messungen: 4/2019

Augenhintergrund (Abb. 2) rechte zentrale Netzhaut mit multiplen, teils flammenförmigen Punkt- und Fleckblutungen, für die bessere Erkennbarkeit der Einblutungen wurde ein Grünfilter (rotfrei) verwendet.

Visus cc OD: von 0,95 (6/18) auf 0,1 mit
Metamorphopsien – OS: 1,0
Nachfrage beim Kunden: Um einen möglichen, drohenden Schlaganfall oder Herzinfarkt auszuschließen wurde nach genauen Symptomen gefragt:
• keine latente Parese oder Schmerzen im linken Arm
• keine feinmotorischen Störungen und Gangunsicherheit
• keine Angstzustände
• kein Herzrasen
Pupillenreaktionstest
•  kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) – (Swinging-Flashlight-Test)
Verdachtsdiagnose
Der Kunde leidet an einem Hemizentralvenenverschluss des rechten Auges. Das zeigt sich in den typischen Punkt- und  Fleckblutungen in der unteren Netzhauthälfte sowie am stak reduzierten Visus mit Metamorphopsien. Im linken Auge konnten keine Auffälligkeiten gefunden werden.
Behandlung
Wir haben sofort den Augenarzt des Kunden von unserem vorliegenden Fotobefund und dem reduzierten Visus unterrichtet. Daraufhin wurde der Patient von seinem Schwiegersohn direkt in die Praxis gebracht, wo sich unsere Verdachtsdiagnose bestätigte. Die weitere Diagnostik und Behandlung wurde dann von der Universitätsaugenklinik Freiburg durchgeführt. Rückblickend stellt sich die Frage, ob die veränderte Blau-Gelb-Farbwahrnehmung auf die Medikamenteneinnahme zurückzuführen oder erste sanfte Hinweise auf das Netzhautgeschehen waren (siehe Symptome und Befunde).

Informationen aus der Notfallsprechstunde – Klinik für Augenheilkunde
Es zeigte sich im OCT kein Makulaödem. In der Angiographie fanden sich keine neovaskulären Areale. Somit sind intravitrale Injektionen oder eine Laserkoagulation aktuell nicht angezeigt. Empfohlen werden regelmäßige Kontrollen beim niedergelassenen Augenarzt und eine weitere kardiovaskuläre Abklärung über den Hausarzt.

Diskussion
Der ischämische Zentralvenenverschluss ist durch  einen sich rasch entwickelnden Verschluss charakterisiert, der eine verminderte Netzhautperfusion, Kapillarverschlüsse  und  Netzhauthypoxie zur Folge  hat. Dies kann zu einer erheblichen Gefäßleckage, Rubeosis iridis und einem Neovaskularisationsglaukom führen. Bei venösen Thrombosen bildet sich das Blutgerinnsel am Ort der Verstopfung. Am Auge sind das meist funktionelle Engstellen, wie der Durchtritt  der Zentralvene durch die Lamina cribrosa sclerae oder an Gefäßkreuzungen. Als Auslöser zählen  Gefäßwandschäden, herabgesetzte Blutflussgeschwindigkeit und veränderte Blutzusammensetzung (Virchow-Trias). Grundlage ist häufig eine sklerotische Wandveränderung einer Begleitarterie, die dann Druck auf die Vene ausübt. Bei arterieller Hypertonie, hohem Intraoklulardruck, Diabetes mellitus oder Blutgerinnungsstörungen treten Venenverschlüsse häufiger auf.  
Die Symptome eines retinalen Venenverschlusses entwickeln sich innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen. Betroffene bemerken plötzlich einen dunklen Schleier vor dem Auge, andere eine Verzerrung beim Sehen (Metamorphopsien). Das wichtigste Symptom ist eine verminderte Sehschärfe. Ausgeprägte Beschwerden gehen aber meist nicht auf das Konto des Venenverschlusses selbst, sondern werden von einem Makulaödem verursacht.  
Die meisten akuten Veränderungen bilden sich über die folgenden neun bis zwölf Monate zurück. Restbefunde können eine epiretinale Gliose in der Makula und Pigmentveränderungen sein. Selten entwickelt sich eine subretinale Fibrose, die der exudativen altersbedingten Mauladegeneration gleicht.
Ein bestehender Bluthochdruck ist der einflussreichste Faktor bei der Entstehung eines retinalen Venenverschlusses - ein  Problem, das Raucher und Menschen mit Diabetes mellitus überdurchschnittlich häufig betrifft. Auch ein zu hoher Cholesterinwert oder ein gesteigerter Harnsäuregehalt des Blutes erhöht das Risiko. Im Auge selbst kann ein erhöhter Augeninnendruck (Glaukom) einen Venenverschluss auslösen. Je nachdem, welche Vene verschlossen ist, unterscheidet man zwei Arten  des  retinalen  Venenverschlusses:
Ist die Zentralvene betroffen, liegt ein Zentralvenenverschluss (ZVV) oder auch Zentralvenenthrombose vor.  Hier ist der Blutabfluss aus der gesamten  Netzhaut gestört. Ein solcher  Zentralvenenverschluss deutet sich durch Verschwommensehen an.
Sind die kleineren Äste der Zentralvene blockiert, handelt es sich um einen Venenastverschluss (VAV). Meistens ereignet er sich dort, wo sich Arterien und Venen kreuzen. Ein Venenastverschluss verläuft meist günstiger, der Sehverlust ist milder und oft auf einen bestimmten Teil des Gesichtsfelds begrenzt. [1, 2,3, 4, 5]
Fazit
Notfälle am Auge frühzeitig erkennen, die Situation korrekt einschätzen und richtig handeln, das liegt  heute  auch  in  der Verantwortung der Augenoptiker und Optometristen.
Randy Freitag
(EurOptom, Heilpraktiker)  
veröffentlicht: DOZ 8/2019