Dezember, 4, 2021
Anpassung von „Anti-Ptosis Stützen“ - Ein Praxisfall
Anamnese
Ein 48-jähriger Mann stellt sich aufgrund einer Empfehlung der Universitätsklinik (Abt. Neurologie) Freiburg vor. Der Patient klagt seit geraumer Zeit über eine generalisierte Hyperkinese mit Meige-Syndrom, wobei ein ausgeprägter Blepharospasmus mit resultierender funktioneller Blindheit besonders störend für den Kunden ist. Aus der Korrespondenz mit der Klinik ersichtbar, erwies sich der Lidkrampf als medikamentös therapieresistent. Mit Botulinumtoxin –Injektionen war nur eine kurzfristige Verbesserung zu erzielen. Deshalb haben wir bereits vor Monaten eine Anti-Ptosis Brille angepasst. Diese besondere Brille brachte, in Kombination mit den Medikamenten, eine deutliche Verbesserung der Sehbehinderung, so dass unser Kunde stundenweise wieder arbeitsfähig war.
Bild 1: Seitenansicht einer montierten Anti-Ptosis-Sütze
Befunde
Die optometrische Untersuchung von Patienten mit Ptosisbeschwerden stellt eine Herausforderung für beide Seiten dar. Da der Kunde durch eine veränderte Kopfhaltung zeitweise versucht, die Ptosis auszugleichen. Dabei legt der Kunde den Kopf in den Nacken, um somit die superiore Gesichtsfeldeinschränkung auszugleichen. Hierdurch können starke Nacken und Rückenbeschwerden entstehen, die wiederum durch Medikamente unterdrückt werden müssen.
Die subjektive Refraktion, die wegen des drohenden Lidkrampfes sensibel, aber zügig durchgeführt werden musste, ergab folgende Ergebnisse:
Ferne:
R: sph -1,50 cyl +0,25 A 0° Vcc0,8
L. sph -1,25 Vcc 0,9
Die Augenlinse war leicht getrübt und die Hornhaut zeigte leichte Erosionen, die auf das Offenhalten mit den Fingern zurückzuführen sind.
Diagnose
Der Patient litt an einem starken Blepharospasmus, der auf eine Fehlinnervation des musculus orbicularis oculi, was auf den nervus facialis zurückzuführen ist. Die besondere symptomatische Konstellation mit der oromandibulären Dystonie, führte zur Diagnose des Meige-Syndroms.
Behandlung
Der Patient erhielt eine Fernbrille mit Kunststoffgläsern. Zur Verminderung der hohen,Medikamenteninduzierten Blendungsempfindlichkeit, wurden phototrope Gläser empfohlen. Die Kunststoffgläser sind für die spätere Montage der Anti-Ptosis-Stützen das entscheidende Argument. Für die Linderung der beidseitigen Ptosis wurden, im vorliegenden Fall, auf beiden Seiten Anti-Ptosis-Stützen notwendig. Bei den Anti-Ptosis-Stützen handelt es sich um Metallstützen mit Federmechanismus, die auf der Rückseite einer Brillenfassung bzw. auf die Kunststoffgläser montiert werden.
Die Stützen müssen so angepasst sein, dass die Metallbügel in den Sulcus des Oberliedes greifen und somit den musculus tarsalis beim Offenhalten des Oberlides unterstützen. Aufgrund der krankhaften Veränderung des Gegenspielers, musculus orbicularis oculi, überwiegt dieser Muskeltonus. Die Konstruktion der Stützen mit Federmechanismus erlaubt ein selbstständiges Schließen der Augen bei einer Schutzreaktion.
Bei der Fassungsauswahl ist neben dem Gefallen, auf einen sicheren und bequemen Sitz zu achten! Denn die Stützen gibt es in 3 verschiedenen Längen – 15mm, 17mm, 19mm. Ein Verrutschen der Brillenfassung reduziert den Anpasseffekt und fühlt sich für den Kunden unangenehm an. Nach dem Einsetzen der Kunststoffgläser, der anatomischen Anpassung der Fassung an den Kunden, werden die Pupillenmitten und die Höhe der Oberlidfalten markiert. Die Markierung der Pupillenmitten stellt die Mitte der Anti-PtosisStütze dar – Seitenzentrierung. Die Höhenzentrierung wird über die horizontale Markierung kontrolliert. Im Anschluss ermittelt man den Abstand zwischen Glasrückfläche und der Oberlidfalte. Danach fixiert man die Stütze mit Tesafilm. Ist die richtige Montageposition gefunden, werden Löcher in das Kunststoffglas gebohrt und die Stütze mit kleinen Schrauben und Muttern befestigt.
Stellt sich im Verlaufe der Zeit eine andere Refraktion ein, können neue Gläser eingesetzt und die Stützenwieder montiert werden.
Über einen Kostenvoranschlag wird die Kostenbeteiligung der Krankenkasse abgeklärt. Sollte nicht der gesamte Betrag übernommen werden, springt in bestimmten Fällen auch das Sozialamt ein.
Bild 2: Markierung – Pupillenmitte, Position der Oberlidfalte
Bild3.: Angepasste Anti-Ptosis Stütze, Frontansicht
Diskussion
Das Meige-Syndrom ist eine seltene neurologische Erkrankung, die sich in symmetrischen krampfhaften, unkontrollierten Kontraktionen der Gesicht-, Kiefer- und Halsmuskulatur äußert. Dabei leidet der Patient oft unter Hervorstrecken der Zunge, Zurückziehen der Lippen und einem ausgeprägten Blepharospasmus. Das Sprechen und Schlucken, sowie die Lidschläge können dabei erheblich beeinträchtigt sein.
Eine dauerhafte Heilung de sMeige-Syndroms gibt es zurzeit noch nicht. Die hier angewandten Behandlungsmethoden sind Injektionstherapie mit Botulinumtoxin, oral einzunehmende Medikamente, Physiotherapie, logopädische Übungen und die Brille mit Anti-Ptosis Stützen.
Da der Kunde nur noch zeitweise arbeitsfähig war und heute seinen Beruf aufgeben musste, führte dies zu einer stark ausgeprägten Depression. Diese Folgeerkrankung wird ebenfallsmedikamentös therapiert. Die hier dokumentierte Erkrankung ist nur ein Beispiel für die erfolgreiche Anpassung einer Brille mit Anti-Ptosis Stützen! Es existieren zahlreiche weitere Ursachen für eine Ptosis!
Fazit
Für die versorgten Kunden erwiesen sich die Anpassungen der Anti-Ptosis-Stützen als große Erleichterung und Steigerung ihrer persönlichen Freiheit. Ein Offenhalten der Oberlider mit den Händen oder den Kopf in den Nacken legen ist nicht mehr notwendig. Die durch die veränderte Kopfhaltung verursachten Rückenschmerzen verringerten sich ebenfalls, so dass die Schmerzmedikamente abgesetzt werden konnten
Für viele Kunden ist ein Leben „OHNE“ mittlerweile undenkbar. Selbst die kosmetische Einschränkung findet eine sehr gute Akzeptanz.
Hervorheben möchte ich noch den sensiblen Umgang, mit dem Kunden bei der Erstellung der Anamnese und bei der Durchführung der Augenglasbestimmung. Hierbei mussten zeitweise die Lider mit der Hand offengehalten und einige Pausen eingelegt werden.
Randy Freitag,
EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker – veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung 11/2010